Sozialmedizin – Public Health – Gesundheitswissenschaften - Lehrbuch für Gesundheits- und Sozialberufe

Sozialmedizin – Public Health – Gesundheitswissenschaften - Lehrbuch für Gesundheits- und Sozialberufe

von: David Klemperer

Hogrefe AG, 2015

ISBN: 9783456955506

Sprache: Deutsch

380 Seiten, Download: 10298 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Sozialmedizin – Public Health – Gesundheitswissenschaften - Lehrbuch für Gesundheits- und Sozialberufe



Kapitel 2 Gesundheit und Krankheit – Definitionen, Theorien, Modelle und Klassifikationen (s. 45-46)

Dem kleinen Tiger geht es nicht gut. Er fühlt sich matt und abgeschlagen, kann kaum noch gehen und hat überall Schmerzen. Der kleine Bär kümmert sich rührend, verbindet, bekocht und bringt ihn – nachdem das alles nicht geholfen hat – ins Tierkrankenhaus. Der Röntgenarzt Dr. Walterfrosch stellt die Diagnose: »Ich sehe durch den kleinen Tiger durch, was ihm fehlt. Aha! Ein Streifen verrutscht«. Offensichtlich kommt bei dieser Diagnose nur eine Therapie in Frage: »Halb so schlimm, kleine Operation, Tiger geheilt« (Janosch 1985, S. 34).

Diese Kindergeschichte von Janosch enthält eine Vorstellung der Krankheitsursache, der Symptome und der geeigneten Therapie. Das Verrutschen eines Streifens führt zur Krankheit – im Umkehrschluss bedeutet die normale Anordnung der Streifen Gesundheit. Der Kinderbuchautor Janosch formuliert hier eine Theorie von Gesundheit und Krankheit, die in ihrer Einfachheit der Zielgruppe seines Buches angemessen ist.

Gesundheits- und Krankheitstheorien sollen, wie Theorien generell, Komplexität reduzieren, Zusammenhänge verdeutlichen und Problemlösungen ermöglichen. Für die Darstellung in diesem Kapitel wurden Theorien und Definitionen ausgewählt, die für die klinische Medizin bzw. für Prävention und Gesundheitsförderung grundlegend sind. Historische Krankheitsmodelle werden ebenfalls beschrieben, weil sich ihre Spuren in der Schulmedizin und auch in manchen Methoden der Komplementär- und Alternativmedizin finden.

2.1 Definitionen von Gesundheit und Krankheit

Weltgesundheitsorganisation
In ihrem Gründungsdokument definierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Gesundheit im Jahr 1946 folgendermaßen:
»Health is a state of complete physical, mental, and social well-being and not merely the absence of disease and infirmity.« (WHO 1946) Gesundheit ist ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen.

Diese Gesundheitsdefinition stellt eine biopsychosoziale Sicht dar, sie umfasst die körperlichen, seelischen und sozialen Aspekte. Mit dem Wohlbefinden steht die subjektive Eigenwahrnehmung der Menschen im Vordergrund. Da sich ein Mensch auch mit Krankheit wohl befinden kann, ist hier die Dichotomie von Gesundheit und Krankheit aufgehoben. Damit wird die Sicht auf die Förderung des Wohlbefindens bei bestehender Krankheit gelenkt – anders als im medizinischen Modell, das allein auf die Krankheit fokussiert (S. 47 ff.). Die WHO selbst hat diese Definition ihren eigenen Strategien erst ab den 1970er Jahren zugrunde gelegt.

Im Rahmen ihrer Primary Health Care-Strategie »Gesundheit für alle – im Jahr 2000« hat die WHO im Jahr 1978 ihre Gesundheitsdefinition noch weiter gefasst:

Gesundheit ist ein grundlegendes Menschenrecht und das Erreichen des höchstmöglichen Maßes an Gesundheit ist ein überaus wichtiges weltweites soziales Ziel, dessen Realisierung das Handeln vieler anderer sozialer und ökonomischer Sektoren zusätzlich zum Gesundheitssektor erfordert (WHO 1978). Die Gesundheitsdefinitionen der WHO sind umfassend und sollten eher als Leitbild z.B. für Prävention und Gesundheitsförderung aufgefasst werden. Keinesfalls sollte gefolgert werden, dass alle Menschen krank sind, die sich nicht vollständig wohl befinden.

Sozialrecht

Das Sozialgesetzbuch V (SGB V) regelt das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Auf eine positive Definition von Krankheit hat der Gesetzgeber verzichtet. Im Alltag wird jedoch eine Definition benötigt, um Leistungsansprüche der Mitglieder bzw. Leistungspflicht der Krankenkassen bejahen bzw. verneinen zu können. Die dafür erforderlichen Grundsätze sind durch Rechtsprechung festgesetzt. Das Preußische Oberverwaltungsgericht beschrieb 1898 Krankheit als »Zustand, welcher ärztliche Behandlung, Arznei oder Heilmittel notwendig macht.

Ob ein solcher Zustand besteht, bestimmt sich nach objektiven, von Sachverständigen festzustellenden Merkmalen, nicht nach der Ansicht oder Handlungsweise des Kassenmitglieds.« Im Jahr 1902 ergänzte es die Definition um das Bestehen eines »anormalen körperlichen und geistigen Zustandes, dessen Eintritt entweder lediglich die Notwendigkeit der Heilbehandlung des Menschen oder zugleich oder gar ausschließlich seine Erwerbsunfähigkeit zur Folge hat.« (Tennstedt 1976, S. 388) Das Bundessozialgericht versteht in seiner Rechtsprechung heutzutage Krankheit als einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer ärztlichen Heilbehandlung des Versicherten oder zugleich oder allein Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Behandlungsbedürftigkeit bezieht sich auf körperliche oder seelische Störungen, deren ärztliche Behandlung vier Ziele verfolgen kann: 1) Heilung, 2) Besserung, 3) Verhütung der Verschlimmerung, 4) Krankheitsbeschwerden (SVR Gesundheit 2001, Band III.1. Ziffer 33 Fußnote 17).

Diese Regelungen legen die Definitionsmacht in die Hände der Ärzteschaft. Die Ärzteschaft definiert als Profession auf wissenschaftlicher Grundlage, welche Zustände als Krankheit bezeichnet werden. Der Arzt in Praxis oder Krankenhaus entscheidet dann auf Grundlage der allgemein anerkannten Regeln des Berufs am einzelnen Patienten über das Vorliegen einer Krankheit. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung entscheidet er damit gleichzeitig über das Anrecht des Patienten, Leistungen zulasten der Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen.

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