Kompendium Schmerz - Für Schmerzexperten in Pflege- und Gesundheitsberufen

Kompendium Schmerz - Für Schmerzexperten in Pflege- und Gesundheitsberufen

von: Andre Ewers, Irmela Gnass, Nadja Nestler, Nadine Schüßler, Erika Sirsch

Hogrefe AG, 2020

ISBN: 9783456760490

Sprache: Deutsch

208 Seiten, Download: 17770 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Kompendium Schmerz - Für Schmerzexperten in Pflege- und Gesundheitsberufen



1 Schmerzmanagement bei chronischen Schmerzen


Dagmar Schäfer

Im folgenden Artikel wird über die Einführung des Expertenstandards Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen in einer Akutklinik berichtet. Ausgehend von den Erfahrungen auf einer Modellstation wurde eine Vorgehensweise entwickelt, die in allen Fachdisziplinen möglichst niedrigschwellig eingeführt werden kann. Längerfristig betrachtet ist dieses Vorgehen noch ausbaufähig.

Betrachtet man die derzeitige Situation in den Akutkliniken, so ist diese von einer hohen Arbeitsdichte gekennzeichnet. Ökonomische Zwänge erfordern hohe Fallzahlen und die Verweildauer der Patienten ist limitiert. Laut dem Pflegethermometer (DPI, 2014, S. 17) resultiert diese Arbeitsverdichtung im Pflegedienst neben den steigenden Fallzahlen und der abnehmenden Verweildauer aus einer stetigen Reduzierung der Pflegefachkräfte (ebd.). Hier konnte auch der leichte Anstieg der Zahl der Pflegefach­kräfte von 2013 auf 2014, bei weiterhin steigenden Fallzahlen und weiterer Reduzierung der Verweildauer, wie aus den Eckdaten der Krankenhausstatistik (DKG, 2015, S. 1) ersichtlich ist, keine Abhilfe schaffen. Unter diesen Rahmenbedingungen ist es zugegebenermaßen nicht gerade einfach, sich auf das Schmerzmanagement bei Patienten mit chronischen Schmerzen zu ­fokussieren, wo doch gerade diese Patienten eine eher zeitintensive Betreuung und Begleitung benötigen. Die Herausforderung bestand demnach darin, eine Vorgehensweise zu entwickeln, die diesen Gegebenheiten entspricht.

Ausgangssituation in der Klinik

Die Klinikum Lippe GmbH ist eine Klinik der Maximalversorgung mit 1061 Betten, die sich an drei Standorten befinden. Durch die ­Teilnahme an dem Projekt Schmerzfreies ­Krankenhaus wurde erstmalig die Qualität des Schmerzmanagements durch umfangreiche ­Patienten- und Mitarbeiterbefragungen erhoben. Eine interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppe ist seitdem bestrebt, das Schmerzmanagement stetig zu verbessern, ­wobei zunächst die Optimierung der Akut­schmerztherapie in allen Abteilungen im ­Vordergrund stand. Durch die Teilnahme an ­einem Zertifizierungsverfahren finden regelmäßig umfangreiche Patienten- und Mitarbeiterbefragungen statt, sodass Schwachstellen in der Versorgung aufgedeckt und bearbeitet werden können. Der Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen ist seit langem implementiert und in allen Fachabteilungen eingeführt. Insgesamt verfügen 41 Pflegefachkräfte über eine Qualifikation als Pflegeexperte Schmerzmanagement, sodass in jedem Großstationsleitungsbereich auf mindestens eine Pflegeexpertin zurück­gegriffen werden kann. Zudem wurden flächendeckend die Pflegefachkräfte bezüglich des Schmerzmanagements mit dem Fokus auf den Akutschmerz geschult. Dennoch kam es immer wieder zu Problemen, wenn Patienten Angaben über ihre Schmerzstärke machten, die für die Pflegefachkräfte nicht nachvollziehbar waren. Bei genauerer Betrachtung handelte es sich dabei nicht selten um Patienten, die bereits unter chronischen Schmerzen oder sowohl unter akuten als auch unter chronischen Schmerzen ­litten. Somit erschien es nur folgerichtig, sich auf das Schmerzmanagement bei Patienten mit chronischen Schmerzen zu konzentrieren, da hier ohnehin ein Interventionsbedarf vorlag.

Informationen zu der Modellstation

Als Modellstation wurde zunächst eine unfallchirurgisch/orthopädische Station mit 33 Betten ausgewählt. Dort werden überwiegend Patienten mit chronischen Gelenkerkrankungen sowie chronischen Rückenschmerzen betreut. Insgesamt wurden 525 Patienten während der modellhaften Implementierung behandelt. Die durchschnittliche Verweildauer der Patienten lag auf dieser Station bei zwölf Tagen und damit deutlich über der aus den Eckdaten der Kranken­hausstatistik (DKG, 2015, S. 1) durchschnitt­lichen Verweildauer von 7,4 Tagen in den allgemeinen Kliniken in Deutschland (ebd.). Der Station sind elf Vollzeitstellen zugeordnet, die durch 15 Pflegefachkräfte besetzt sind. Eine Pflegefachkraft verfügt über eine fünftägige Fortbildung zur Pflegeexpertin Schmerzmanagement. Durch die Implementierung des Expertenstandards Schmerzmanagement bei akuten Schmerzen waren die Pflegefachkräfte bereits umfangreich zur Schmerzerfassung, medikamentösen und nicht-medikamentösen Schmerztherapie geschult worden. Eine multimodale Schmerz­therapie ist auf der Station bei den konservativ versorgten Patienten üblich, sodass auch dieser Ansatz den pflegerischen Mitarbeitern vertraut ist. Dennoch zeigte sich ein weiterer Fortbildungsbedarf bezüglich der Schmerzerfassung, der Differenzierung von akuten und chronischen Schmerzen, und vor allem der medikamentösen Schmerztherapie. Hierzu wurden entsprechende fallbezogene Kurzschulungen durchgeführt, da diese Schulungsform sich in der Vergangenheit aufgrund eines unmittelbaren Transfers in die Praxis bereits bewährt hat. Die auf der ­Station tätige Pflegeexpertin konnte fortlaufend ein „training on the job“ für die Pflegefachkräfte gewährleisten.

Anpassung der Verfahrensanweisungen und Dokumentationsunterlagen

Die bisherige Schmerzerfassung bei der Aufnahme bezog sich allgemein auf Schmerzen, sodass hier eine Differenzierung nach akuten und chronischen Schmerzen vorgenommen werden musste. Hier ergab sich bereits die erste Problematik, denn gerade in der Aufnahmesituation werden die Patienten mit diversen Fragen und Assessmentinstrumenten konfrontiert. Selbst bei einer geplanten Aufnahme sind die zu erhebenden Informationen für einige Patienten zu umfangreich. Insofern wurde entschieden das initiale Assessment sehr kurz zu halten. Dies hat den Vorteil, dass auch bei nicht geplanten Aufnahmen und dementsprechend oft schlechtem Allgemeinzustand der Patienten die Schmerzerfassung dennoch möglich ist. Die ­folgende Tabelle 1-1 zeigt einen Ausschnitt aus dem Stammblatt bei der Aufnahme.

Tabelle 1-1: Schmerzerfassung bei der Aufnahme

Nach diesem initialen Assessment geht es bei einer stabilen Schmerzsituation um die ­Erfassung der stabilisierenden Faktoren, soweit diese für den stationären Aufenthalt von Be­deutung sind. Bei einer instabilen Schmerz­situation mit Überschreiten der individuellen Toleranzgrenze steht zunächst die Linderung der Beschwerden im Vordergrund. Auf der ­Modellstation erfolgte in diesen Fällen ein ­differenziertes Assessment durch den ärzt­lichen Dienst, da die Patienten aus diesem Grund zur Aufnahme kamen. Da das Ziel war, ein Procedere zu entwickeln, das flächen­deckend in der Klinik eingeführt werden kann, wurde entschieden, dass ein differenziertes ­Assessment bei einer instabilen Schmerzsituation nur dann erfolgt, wenn während des sta­tionären Aufenthaltes entsprechende Konsequenzen daraus abgeleitet werden können. Bei einem sehr kurzen Aufenthalt, wie er in vielen Fachdisziplinen üblich ist, stehen oft andere ­diagnostische und therapeutische Maßnahmen im Vordergrund. Die Häufigkeit der Schmerz­erfassung während des stationären Aufent­haltes sollte bei Patienten mit chronischen Schmerzen mit dem jeweiligen Patienten ab­gesprochen werden, um ein individuelles ­Vorgehen zu ermöglichen. Lediglich bei den ­Patienten mit einer instabilen chronischen Schmerzsituation sollte die Schmerzerfassung mindestens einmal täglich erfolgen. Um das weitere Procedere bei den Patienten mit chronischen Schmerzen darzustellen und für die Mitarbeiter transparent zu machen, wurde dazu ein Algorithmus (siehe Tabelle 1-2) analog zu dem Procedere bei akuten Schmerzen in die Verfahrensanweisung zum pflegerischen Schmerzmanagement aufgenommen.

Tabelle 1-2: Algorithmus pflegerisches Schmerzmanagement bei chronischen Schmerzen

Handelt es sich um eine stabile Schmerz­situation, so steht im Vordergrund, den Behandlungsplan beizubehalten und die stabilisierenden Faktoren sicherzustellen sowie potenziell destabilisierende Faktoren zu vermeiden. Die jeweilige Expertise des Patienten ist hier zu beachten und es sollte ihm ermöglicht werden, sein bisheriges Selbstmanagement beizubehalten. Sollten sich hier aufgrund der aktuellen ­Erkrankung Probleme ergeben, so ist das Vor­gehen interdisziplinär und mit dem Patienten gemeinsam abzustimmen. Aufgabe der Pflegefachkräfte ist es, den Patienten in seinem ­Selbstmanagement zu unterstützen. Ist die Schmerzsituation instabil, wird die pflegerische Schmerzexpertin hinzugezogen, je nach Situa­tion erfolgt jetzt ein differenziertes Assessment. Bei Überschreiten der individuellen ­Toleranzgrenze des Patienten werden zeitnah Maßnahmen zur Linderung initiiert und gegebenenfalls der vorherige Behandlungsplan durch ein interdisziplinäres Team angepasst. Idealerweise wird ein ärztlicher Schmerztherapeut einbezogen, was allerdings bei einer sehr kurzen Verweildauer nicht immer realisiert werden kann. In diesen Fällen muss die langfristige Anpassung des Behandlungsplans poststationär in der Schmerzambulanz erfolgen, sofern dieses von dem Patienten gewünscht ist. Ein solches Vorgehen hat den Vorteil, dass der Behandlungsplan stärker auf den normalen Alltag des Patienten abgestimmt werden kann und der ­Patient längerfristig gesehen davon stärker profitiert. Bei der Entlassung des Patienten aus der Klinik, sollte das aktuelle Schmerzmanagement in dem Entlassungsbrief aufgeführt...

Kategorien

Service

Info/Kontakt