Forschungsethik - Informieren - reflektieren - anwenden. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

Forschungsethik - Informieren - reflektieren - anwenden. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

von: Martin W. Schnell, Christine Dunger

Hogrefe AG, 2018

ISBN: 9783456958507

Sprache: Deutsch

160 Seiten, Download: 4464 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Forschungsethik - Informieren - reflektieren - anwenden. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage



2 Kurze Geschichte der Forschungsethik

Die Geschichte der modernen Forschungsethik verweist auf die inhumanen Experimente während des Nationalsozialismus zurück. Die Forschungsethik ist eine Reaktion auf diese Experimente. Sie zeigt, dass Medizin und Wissenschaft aus dem Unrecht positive Lehren gezogen haben.

Der Nürnberger Ärzteprozess (1946–1947) verdeutlichte die zentrale Stellung der Ärzte und der Heilberufe im nationalsozialistischen Staat und bei der Durchführung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (vgl. Mitscherlich & Mielke, 1995). Angeklagt waren zwar nur Ärzte und Zahnärzte als Vertreter von Professionen. Pflegende wurden jedoch als Mittäter identifiziert. Krankenschwestern verrichteten Hilfsdienste, weswegen sie keine eigene Profession mit einem eigenen und legitimen Ethikvorbehalt bildeten, wie dieser den Ärzten zusteht. Dieser Umstand legitimierte ihr Handeln jedoch keineswegs. Zahllose Angehörige der Pflegeberufe haben im deutschen Inland und an den Fronten im Osten und Westen diese Verbrechen und die militärischen Kriegshandlungen gleichwohl aktiv unterstützt (vgl. Schnell, 2007). So wäre ohne das Deutsche Rote Kreuz der Russlandfeldzug nicht möglich gewesen!

Der Nürnberger Prozess zeugt von einem moralischen Fortschritt der Menschheit. Die im Anschluss erlassene Menschenrechtskonvention verbietet die Überordnung binnenstaatlichen Rechts über die Menschlichkeit. Er zeigte speziell, dass der Hippokratische Eid, dessen Schwur unterstellt, dass ein Arzt das Beste will und auch tut, offenbar Grenzen hat, da er zur normativen Strukturierung der verantwortungsvollen Tätigkeit eines Arztes allein nicht ausreicht. Im Ausgang vom Nürnberger Prozess beginnt die Medizin, sich zur Demokratie zu bekennen und legt ethische Grundlagen für Forschung und Behandlung.

Der Nürnberger Kodex von 1947 enthält unter anderem das Prinzip des informed consent (informierte Zustimmung): „Die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson ist unbedingt erforderlich. Das heißt, dass die betreffende Person im juristischen Sinne fähig sein muss, ihre Einwilligung zu geben; dass sie in der Lage sein muss, unbeeinflusst durch Gewalt, Betrug, List, Druck, Vortäuschung oder irgendeine andere Form der Überredung oder des Zwanges, von ihrem Urteilsvermögen Gebrauch zu machen; dass sie das betreffende Gebiet in seinen Einzelheiten hinreichend kennen und verstehen muss, um eine verständige und informierte Entscheidung treffen zu können.“

Der moralische Fortschritt liegt in dem Bekenntnis, dass Schaden und Unwahrheit mit guter Forschung nicht zu vereinbaren sind. In der historischen Folge wird der Kodex mehrfach erweitert und renoviert (vgl. Kohlen, 2009). Die ethischen Grundsätze des Weltärztebundes für die medizinische Forschung am Menschen gelten allgemein als Standard ärztlicher Ethik. Sie werden in den meisten Ländern angewendet, allerdings in unterschiedlichen Fassungen. In Deutschland beziehen sich die Ethikkommissionen im Rahmen klinischer Studien derzeit auf verschiedene Revisionen dieser Deklaration. Die World Medical Association (WMA) akzeptiert allerdings nur die jeweils aktuelle Version als gültig. Die Ethikkommission der Deutschen Bundesärztekammer ist selbst Initiator spezifischer Ethikdebatten (vgl. Wiesing, 2003).

2.1 Pflegewissenschaft als Vorreiterin im Bereich der nicht-medizinischen Forschungsethik

Forschung in der Pflegewissenschaft und den Therapiewissenschaften etablierte sich, abgesehen von vereinzelten durch Mediziner durchgeführte Studien zu pflegerischen Fragen, wie die von Martin Mendelssohn in Berlin, erst Jahrzehnte nach dem Ende des 2. Weltkrieges. Sie partizipiert an den Lehren, die die Medizin gezogen hat (vgl. Schnell, 2015). Die seither verpflichtenden Richtlinien für Ethik in der Forschung gelten auch für alle nicht-medizinische Forschungen mit und an Menschen.

Die in den USA seit Jahrzehnten bereits etablierte und praktizierte Pflegeforschung blickt auf eine Tradition der Forschungsethik zurück. Die American Nurses Association formulierte im Jahre 1968 ethische Richtlinien für die Pflegeforschung. Die 1985 aktualisierte Fassung sieht als ethischen Mindeststandard, neben der Achtung der Menschenrechte und der Vermeidung von Nachteilen für die Probanden, die Prüfung eines Forschungsvorhabens durch eine Ethikkommission (Institutional Review Board) vor.

Die in Europa erst später als in den USA – und in Deutschland erst in den ausgehenden 1980er-Jahren des 20. Jahrhunderts – institutionalisierte Pflegewissenschaft ist mittlerweile in den Prozess einer immer weiter fortschreitenden Professionalisierung eingetreten. Aufgrund der Leistungen und Erfolge der Pflegeforschung ist die Behauptung gerechtfertigt, dass die Pflegewissenschaft auf dem Weg ist, sich im Konzert der Gesundheitswissenschaften einen eigenen Platz zu erobern.

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