Global Health - Gesundheit und Gerechtigkeit

Global Health - Gesundheit und Gerechtigkeit

von: Oliver Razum, Hajo Zeeb, Olaf Mueller, Albrecht Jahn

Hogrefe AG, 2014

ISBN: 9783456954349

Sprache: Deutsch

288 Seiten, Download: 2720 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Global Health - Gesundheit und Gerechtigkeit



Teil 1: Gesundheitliche Ungleichheit: politische Dimensionen und mittelbare Ursachen (S. 17-18)
Oliver Razum

Zu den eindrücklichsten Belegen gesundheitlicher Ungerechtigkeit gehört auch heute noch die weltweite Ungleichheit bei der Kindersterblichkeit, trotz erfreulicher Fortschritte in den vergangenen Jahren. Im ersten Kapitel spannen Hans Jochen Diesfeld und Claudia Beiersmann anhand dieses Themas einen historischen Bogen von Rudolf Virchow zu den Millennium- Entwicklungszielen. Sie zeigen, dass Kindersterblichkeit im Deutschland des 19. Jahrhunderts ein ähnlich brennendes Problem war wie in den Entwicklungsländern des 21. Jahrhunderts. Virchows damalige Forderungen zeigen in bedrückender Weise Parallelen zu denen der WHO von heute. Bedrückend, weil eine korrekte Analyse der Ursachen offenbar bereits vor 150 Jahren vorlag und weil die erforderlichen Interventionen einfach und kostengünstig sind. Deren nachhaltige Umsetzung ist aber trotz vieler Bemühungen noch nicht ausreichend gelungen. Welche Fortschritte es gab, wo Ziele nicht erreicht wurden und mit welchen Strategien die globale Gesundheitspolitik in den nächsten Jahren voraussichtlich agieren wird, zeigen Claudia Beiersmann und Albrecht Jahn in Kapitel 2.

Nicht nur die Kindersterblichkeit, auch andere Gesundheitsrisiken und -probleme sind in ungleicher Weise über die Bevölkerungen der Welt verteilt. In den ärmeren Ländern sind die Krankheitslast sowie die Sterblichkeit an übertragbaren Krankheiten und an Gesundheitsproblemen in Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt immer noch um Dimensionen höher als in den wohlhabenden Nationen. Kapitel 3 zur globalen Krankheitslast von Dietrich Plaß und Hajo Zeeb zeigt aber, dass der gesundheitliche Übergang an den ärmeren Ländern nicht vorbeigegangen ist. Auch dort erreichen zunehmend mehr Menschen ein höheres Lebensalter. Gleichzeitig verbreiten sich neue Risikofaktoren, wie z. B. das Rauchen, sodass die Krankheitslast durch chronische, nichtübertragbare Erkrankungen steigt. Gerade die ärmeren Länder sind somit einer doppelten Belastung ausgesetzt, einerseits durch die neu auftretenden Gesundheitsprobleme wie Herz- Kreislauf-Erkrankungen, andererseits durch die «unfinished agenda» der Infektionskrankheiten sowie der Kinder- und Müttersterblichkeit. Die Autoren erläutern auch die von der WHO eingesetzte Methodik, mit deren Hilfe die «Bedeutung » eines Gesundheitsproblems gemessen wird. Auch wenn dieser methodische Ansatz bis heute umstritten ist, so ermöglicht er doch, anhand von transparenten Kriterien die enormen weltweiten gesundheitlichen Ungleichheiten zu verdeutlichen.

Die gesundheitliche Situation von Bevölkerungen hängt eng mit ihrer demografischen Dynamik zusammen. Ralf E. Ulrich analysiert in Kapitel 4 die weltweite Bevölkerungsentwicklung, insbesondere hinsichtlich Größe, Zusammensetzung sowie Altersstruktur der Bevölkerungen, und ihren Zusammenhang mit der Gesundheit. Während in vielen ärmeren Ländern noch die Effekte einer hohen Fertilität überwiegen, befinden sich die wohlhabenden Länder des Nordens bekanntermaßen in einem fortgeschrittenen Prozess der demografischen Alterung. Dass auch viele Schwellenländer bereits große ältere Bevölkerungen haben, wird noch nicht genug wahrgenommen. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen für die Gesundheits- und Sozialversorgung. Matthias Braubach ergänzt diese Ausführungen im Schlaglicht 1 zum Thema Verstädterung und Gesundheit. Er zeigt auf, dass bereits heute der größere Teil der Weltbevölkerung in Städten lebt und dort Umweltbedingungen ausgesetzt ist, die mit chronischen, nichtübertragbaren Krankheiten assoziiert sind.

Weltweite Unterschiede in Wohlstand und wirtschaftlicher Entwicklung, aber auch Konflikte innerhalb oder zwischen Ländern gehen mit Migration oder Flucht einher, wie Patrick Brzoska und Oliver Razum im Kapitel zu Migration und Mobilität verdeutlichen. Die weltweit zunehmenden Migrationsbewegungen beeinflussen Größe, Alters- und Sozialstruktur von Bevölkerungen und verändern die Epidemiologie von Krankheiten. Zu den daraus resultierenden direkten Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme kommt der indirekte, aber oft dramatische Effekt des «Brain-Drain» hinzu, wenn wohlhabende Länder versuchen, ihren Mangel an ausgebildetem Personal durch Anwerbung in ärmeren Ländern zu beheben.

Den Schritt von einer objektivierbaren Darstellung der gesundheitlichen Ungleichheit zur Analyse der damit einhergehenden Ungerechtigkeit vollzieht Johanna Hanefeld in Kapitel 6. Sie erläutert, was das «Recht auf Gesundheit» beinhaltet und welche internationalen Normen es dazu gibt. Besonders geht sie auf die Umsetzung und die dazugehörigen verfahrensrechtlichen Schritte ein. Zur Verbesserung der Gesundheit ist letztendlich eine Politik erforderlich, die effektive und verlässliche Strukturen schafft und das Empowerment benachteiligter Bevölkerungsgruppen fördert.

Kayvan Bozorgmehr thematisiert in Kapitel 7 die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftskrisen in einer sich zunehmend globalisierenden Welt und Gesundheit. Angesichts von Armut und Ungleichheit, verstärkt durch Austeritätspolitiken, zeigt er die Machtlosigkeit des Gesundheitssektors auf, Probleme im Alleingang und losgelöst von der Wirtschaftspolitik anzugehen. Sein Beitrag belegt eindrücklich die Bedeutung der sozialen Sicherung für die Verbesserung der Gesundheit – und das keineswegs nur in ärmeren Ländern.

Gesundheit ist ein weltweit gültiges Menschenrecht, dessen Umsetzung für alle Menschen aber noch in weiter Ferne liegt. Wie Teil 1 zeigt, reicht es nicht aus, auf dem Weg zu diesem Ziel nur lokale oder nur medizinische Lösungsansätze zu verfolgen. Gesundheitliche Ungleichheit hat eine internationale politisch-historische Dimension und mittelbare wirtschaftliche Ursachen. Ohne deren Berücksichtigung wird Public Health keine nachhaltigen Erfolge erzielen können.

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