Sterbebegleitung bei Menschen mit Demenz

Sterbebegleitung bei Menschen mit Demenz

von: Christiane Pröllochs

Tectum-Wissenschaftsverlag, 2019

ISBN: 9783828872936

Sprache: Deutsch

264 Seiten, Download: 963 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Sterbebegleitung bei Menschen mit Demenz



3 Demenz

Demenz ist in den letzten Jahrzehnten zu einem Schrecken der Menschen geworden. Keine andere Krankheit löst so viel Furcht aus wie Demenz. Demenz wird oft gleichgesetzt mit würdelosem Dahinvegetieren und Verlust jeglicher Persönlichkeit. Gesellschaftlich gilt Demenz als eine der größten Herausforderung der Gegenwart.107 Was ist das für eine Krankheit, die Demenz?

»Demenz« leitet sich aus dem Lateinischen ab und heißt so viel wie »ohne Geist« oder »der Geist ist weg«. Weltweit sind ca. 47 Millionen108 Menschen von dieser Krankheit betroffen, in Deutschland sind es gegenwärtig ca. 1,7 Millionen Männer und Frauen. Jährlich treten etwa 300.000 Neuerkrankungen auf. Bis zum Jahr 2050 wird sich ihre Zahl auf ca. 3 Millionen erhöhen. Alter ist der größte Risikofaktor für Demenzerkrankungen. Weniger als 2% der Erkrankungen fallen auf Menschen unter 65 Jahren. Von den 65- bis 69-Jährigen leidet etwa jeder Hundertste daran. Die Zahl der Erkrankten verdoppelt sich nach jeweils 5 Jahren, sodass etwa 40% der über 90-Jährigen eine Demenzerkrankung haben. Zwei Drittel der Erkrankten sind Frauen. Dies erklärt sich u.a. mit der höheren Lebenserwartung. In der Altersgruppe, in der Demenzerkrankungen auftreten, gibt es mehr Frauen als Männer.109

Mehrere Studien zeigen einen kontinuierlichen Rückgang der Neuerkrankungen in den letzten Jahren. Als Ursache werden bessere Bildung, gesündere Ernährung und Lebensführung sowie eine bessere Behandlung von kardiovaskulären Risikofaktoren vermutet.110

Demenzerkrankungen sind irreversibel und dauern bis zum Tode an. Die mittlere Krankheitsdauer beträgt 3–6 Jahre. Sie kann jedoch stark variieren. Es gibt durchaus Krankheitsverläufe von über 20 Jahren.111

Der größte Teil (75%) der Demenzerkrankten wird zu Hause von Angehörigen gepflegt. In Altenpflegeeinrichtungen leiden ca. 70% der Bewohner an einer Demenz.112

3.1 Krankheitsbild

Demenz ist ein Oberbegriff für ein Muster von Symptomen, die durch unterschiedliche Ursachen bedingt sein können. Man unterscheidet primäre von sekundären Demenzen. Primäre Demenzen, wie die Alzheimer-Demenz oder die vaskuläre Demenz entstehen durch einen fortschreitenden irreversiblen Krankheitsprozess im Gehirn. Bei den sekundären Demenzen liegt eine andere Krankheit ursächlich zu Grunde. Wird diese erfolgreich behandelt, so verschwinden auch die demenziellen Symptome.

3.1.1 Formen der Demenz

Demenz vom Alzheimer-Typ

Die Alzheimer-Demenz ist die häufigste der Demenzerkrankungen (60%). Sie tritt meist ab dem 70. Lebensjahr auf, kann aber auch schon früher beginnen. Mit dem Alter steigt die Häufigkeit der Erkrankungen, sodass hohes Alter den Hauptrisikofaktor darstellt. Beginnt die Erkrankung bereits in jüngeren Jahren, so verläuft sie meist rascher. Bei Demenzen vom Alzheimer-Typ finden sich im gesamten Kortex Ablagerungen von so genannten »senilen Plaques« sowie eine allgemeine Atrophie des Gehirns. Die Erkrankung beginnt meist schleichend und zeigt eine langsam aber stetig zunehmende Verschlechterung bis zum Tode. Am Anfang stehen das Nachlassen der Merkfähigkeit und Wortfindungsstörungen im Vordergrund.113

Vaskuläre Demenz

Vaskuläre Demenzen entstehen durch arteriosklerotische Prozesse oder durch Schlaganfälle. Diese führen zu einer Unterversorgung der »dahinter liegenden« Gehirnteile, was zum Absterben von Zellen und damit zur Symptomatik führt. Die Demenz beginnt daher plötzlich und in zeitlichem Zusammenhang mit dem Gefäßverschluss. Der Verlauf ist dementsprechend stufenartig mit einer Stabilisierung des Zustands vor der nächsten Verschlechterung, z.B. durch einen erneuten Infarkt.

Die vaskuläre Demenz ist die zweithäufigste Art der Demenzerkrankungen (10%). Häufig kommen Mischformen vor (15%).114

Lewy-Körperchen-Demenz

Die Lewy-Körperchen-Demenz ist eine selten auftretende Form (weniger als 10%). Hier kommt es im Gehirn zu ähnlichen Veränderungen wie bei der Alzheimer-Demenz, hinzu kommen jedoch Symptome wie bei der Parkinson-Erkrankung.115 Auffallend sind deutliche Schwankungen der kognitiven Leistungen und der Wachheit innerhalb eines Tages oder über einen Zeitraum von mehreren Tagen hinweg. Man spricht von fluktuierendem Verlauf. Anders als bei der Demenz vom Alzheimer-Typ bleibt die Sprachfähigkeit hier lange Zeit erhalten. Typisch für diese Form der Demenz sind szenische optische Halluzinationen. Die Betroffenen sehen Menschen oder Tiere, die nicht real vorhanden sind. Zum Krankheitsbild gehört eine Überempfindlichkeit gegen Neuroleptika, die gegen die Halluzinationen eingesetzt werden. Auf sie wird mit ausgeprägter Parkinson-Symptomatik reagiert. Doch auch ohne diese Medikamente entwickeln die Betroffenen motorische Symptome wie bei Morbus Parkinson, z.B. Muskelsteifigkeit, Zittern der Hände, langsame Bewegungen und reduzierte Mimik. Häufige Stürze sind ebenfalls typisch.116

Frontotemporale Demenz

Die frontotemporale Demenz ist nach der betroffenen Hirnregion bezeichnet. Im vorderen Bereich des Gehirns kommt es durch verschiedene Ursachen, wie z.B. Durchblutungsstörungen oder einen Hirntumor zu Veränderungen, die die Symptome auslösen.117 Etwa 3–9% der Menschen mit Demenz sind von dieser Form betroffen. Sie beginnt häufig in jüngerem Alter, zwischen 50 und 60 Jahren. Im Gegensatz zur Alzheimer-Demenz sind Gedächtnisleistungen, zumindest im Frühstadium, weniger beeinträchtigt, jedoch kommt es zu deutlichen Auffälligkeiten im sozialen Verhalten. Die Betroffenen wirken sorglos, unkonzentriert und unbedacht, und vernachlässigen ihre Arbeit und Pflichten. Sie entwickeln Taktlosigkeit und Reizbarkeit bis hin zu Aggressivität. Eine zunehmende Enthemmung kann zu schamlosem Verhalten führen, das den sozialen Normen nicht entspricht. Sie entblößen sich z.B. vor den Blicken anderer Menschen, ohne etwas Anstößiges darin zu sehen. Manchmal entwickeln sie eigenartige Rituale. Die Sprachfähigkeit ist bei manchen Formen von Anfang an beeinträchtigt, bei anderen nimmt sie im Laufe der Zeit ab.118

3.1.2 Krankheitsverlauf

Bei den primären Demenzen kommt es wie beschrieben durch hirnorganische Faktoren zur allmählichen Verschlechterung der kognitiven, affektiven, motivationalen und motorischen Fähigkeiten. Betroffen sind z.B. die Fähigkeit zu sprechen (Aphasie), Gegenstände zu erkennen (Agnosie) oder motorische Aktivitäten auszuführen (Apraxie). Psychische Symptome wie Wahn oder depressive Verstimmungen können zusätzlich auftreten. Mit zunehmender Krankheit werden immer mehr Lebensbereiche beeinträchtigt. Die Menschen ziehen sich zurück, werden apathisch und schließlich bettlägerig.119

Demenzen werden nach Schweregraden eingeteilt, die sich am Grad der Selbständigkeit orientieren120:

Bei leichter Demenz ist die Lebensführung geringgradig eingeschränkt, Unterstützungsbedarf besteht nur bei anspruchsvollen Tätigkeiten.

Bei mittelschwerer Demenz ist die Selbständigkeit hochgradig eingeschränkt, Unterstützungsbedarf besteht schon bei einfachen Tätigkeiten und in der Alltagsbewältigung.

Bei schwerer Demenz ist eine selbständige Lebensführung nicht mehr möglich, es besteht Unterstützungsbedarf bei allen Tätigkeiten.

Im Folgenden wird der typische Verlauf der Alzheimer-Erkrankung dargestellt. Die Übergänge zwischen den Stadien sind fließend.

Bei leichter Demenz im Frühstadium der Erkrankung sind die Veränderungen so subtil, dass sie von der Umwelt häufig nicht bemerkt werden. Verminderte Merkfähigkeit oder Wortfindungsstörungen lassen sich durch Alltagsroutinen und Merkhilfen – wie Kalender oder Zettel – sowie durch Gesprächsfloskeln überspielen. Nach außen hin können die Erkrankten mit Hilfe ihrer eigenen Strategien ihre nachlassenden Fähigkeiten eine Zeit lang ausgleichen. Ein Beispiel aus der Literatur verdeutlicht den Versuch, die Schwächen zu kompensieren und vor der Umwelt zu verbergen:

»Konrad Lang entwickelte Techniken, sein Problem zu kaschieren. Er skizzierte einen Lageplan des Hauses und der Geschäfte, in denen er normalerweise einkaufte. Er stellte eine Liste zusammen mit Namen, die er oft brauchte und die ihm eigentlich geläufig sein sollten. Er bewahrte in seinem Portemonnaie, seiner Brieftasche und seinem Schlüsseletui ihre gemeinsame Adresse auf. Und für den Fall, daß er sich im weiteren Umkreis verirrt, trug er einen Stadtplan bei sich, mit dessen Hilfe er sich als verirrter Tourist ausgeben konnte.«121

In diesem Stadium beginnt der Gedächtnisverlust, ein Hauptkennzeichen der Demenzerkrankungen. Betroffen ist zunächst das Kurzzeitgedächtnis, das Informationen über die aktuelle Situation aufnimmt, verarbeitet und – bei Relevanz – ins Langzeitgedächtnis überführt. Im Kurzzeitgedächtnis122, auch »Arbeitsgedächtnis« genannt, bleiben Informationen nur für ca. 20 Sekunden.123 Ist es in seiner Funktion beeinträchtigt, können Informationen nicht ins Langzeitgedächtnis überführt werden, d.h. sie prägen sich nicht ein. Man spricht daher auch von »Einprägungsstörung«. Was geschieht oder gesprochen wird, verankert sich nicht...

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