Pflege in anderen Ländern: Vom Ausland lernen

Pflege in anderen Ländern: Vom Ausland lernen

von: Yvonne Lehmann, Christiane Schaepe, Ines Wulff, Michael Ewers

medhochzwei Verlag, 2019

ISBN: 9783862165377

Sprache: Deutsch

270 Seiten, Download: 7685 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Pflege in anderen Ländern: Vom Ausland lernen



1 Zusammenfassung


Das Thema Pflege gewinnt in Deutschland zunehmend an Brisanz. Die Gründe dafür sind komplex und beeinflussen die Sicherstellung der Versorgung in allen Settings und auf allen Ebenen (Primär-, Akut- und Langzeitversorgung, ambulant wie stationär). Unstrittig ist dabei, dass die Rahmenbedingungen der pflegerischen Berufsausübung zum Besseren hin verändert werden müssen. Aber auch die Qualifizierung und die Kompetenzprofile der Pflege sind zu modernisieren. Darüber, wie diesem Handlungsbedarf erfolgreich begegnet werden kann, wird hierzulande derzeit intensiv diskutiert. Vor diesem Hintergrund hat eine Arbeitsgruppe am Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Charité – Universitätsmedizin Berlin im Auftrag der Stiftung Münch von Mai bis Oktober 2018 analysiert, ob und ggf. welche Erkenntnisse und Erfahrungen in anderen Ländern – namentlich in Großbritannien, den Niederlanden, Schweden und Kanada (Provinz Ontario) – Orientierung und Anregungen für Deutschland bieten können.

Zur Bearbeitung des Auftrags wurde anhand von sieben Leitfragen die Ist-Situation in der Pflege in den genannten Ländern untersucht. Dazu fanden Literaturrecherchen, aber auch Befragungen von Expertinnen und Experten aus der Pflegepraxis, der Pflegebildung und der Pflegewissenschaft statt. Die Befunde wurden in Form von Länderporträts aufbereitet und kontrastierend betrachtet. Abschließend wurden Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung pflegeberuflicher Bildungs- und Karrierewege und der Bedingungen in der Ausübung beruflicher Pflege in Deutschland abgeleitet. Die zentralen Erkenntnisse zu den eingangs gestellten Leitfragen lassen sich wie folgt zusammenfassen.

Wie ist Pflege in anderen Ländern grundsätzlich organisiert und wie reagiert sie auf den steigenden quantitativen und qualitativen Bedarf an Versorgungsleistungen?

Pflege ist nicht gleich Pflege. Als größte Gruppe der Gesundheitsberufe ist die Pflege in den untersuchten Ländern stark ausdifferenziert, was ihre Qualifikations- und Kompetenzprofile ebenso betrifft wie ihre Tätigkeitsbereiche. Die zentrale Säule bilden überall Pflegefachpersonen1 mit mind. 3-jähriger Ausbildung, die staatlich anerkannt, selbstständig und eigenverantwortlich tätig sind. In Großbritannien, den Niederlanden und Kanada ist eine Registrierung Voraussetzung für die berufliche Tätigkeit. Dies drückt sich auch in der Berufsbezeichnung aus (Registered Nurse, kurz RN). Die Registrierung schließt eine Fortbildungspflicht ein und muss regelmäßig erneuert werden, andernfalls erlischt die Berufszulassung. In Großbritannien und Kanada sind hierfür Pflegekammern im Sinne einer berufsständischen Selbstverwaltung zuständig. Die Niederlande haben ein gemeinsames, staatlich organisiertes Registrierungssystem für mehrere Gesundheitsberufe (z. B. Ärzte, Apotheker, Hebammen). Es wird durch eine berufsständisch organisierte Registrierung für Pflegeexperten mit erweiterten Kompetenzen ergänzt.

Ergänzend dazu werden in den Vergleichsländern in mehr oder weniger großem Umfang Assistenten und Helfer eingesetzt. Ziel ist es, Arbeitskräftepotential mit geringeren formalen Bildungsabschlüssen für die Pflege zu erschließen, um den quantitativ steigenden Bedarf abzudecken – insbesondere auch durch die Zunahme älterer Pflegebedürftiger mit Bedarf an alltagsnaher Unterstützung. Zugleich aber sind auch deutlich mehr hochschulisch Qualifizierte beschäftigt als hierzulande, wo ihr Anteil unter einem Prozent liegt. International gilt überwiegend ein Hochschulabschluss (Bachelor) als Regelzugang zur Tätigkeit als Pflegefachperson. Darüber hinaus werden höherqualifizierte Pflegeexperten mit erweiterten Kompetenzen beschäftigt, die in der Regel über einen postgradualen Abschluss verfügen (Master). Diese Entwicklung ist als Reaktion auf qualitative Bedarfsveränderungen und neue Aufgaben für die Pflege zu sehen und soll die Innovationsfähigkeit der Pflege unterstützen.

Wie sind die Aufgaben und Verantwortlichkeiten innerhalb der Pflege sowie zwischen der Pflege und anderen Gesundheitsprofessionen verteilt?

In den untersuchten Ländern übernehmen vielfach Pflegeassistenten Aufgaben, die in Deutschland Pflegefachpersonen erfüllen. Zugleich nehmen Pflegefachpersonen anspruchsvollere Aufgaben wahr, darunter auch solche, die vormals dem ärztlichen Aufgabenbereich zugeschrieben wurden. Dies zeigt sich besonders in der Primärversorgung. Hier sind Pflegende mit erweiterten Kompetenzen in multiprofessionellen Teams mit Ärzten und Vertretern anderer Gesundheits- und Sozialberufe eigenverantwortlich und in geteilter Verantwortung tätig. Als Pflegeexperten (Nurse Practitioner) übernehmen sie neben Aufgaben der klassischen Krankenversorgung auch anspruchsvolle Aufgaben in der Gesundheitsförderung und Prävention. Sie tragen zur Gesundheitskompetenz und zum Selbstmanagement chronisch kranker Patienten bei (z. B. mit Diabetes mellitus, COPD oder Herzinsuffizienz), stärken informelle Unterstützungsnetze und beugen so der Abhängigkeit von Fremdhilfe vor. Die Ausdifferenzierung der Pflege geht folglich mit einem Neuzuschnitt von Aufgaben- und Verantwortungsbereichen einher, was wiederum eine Neuordnung der Beziehungen zu anderen Berufen erfordert – insbesondere in Richtung der Ärzte.

Die Aufgabenspektren der verschiedenen Assistenten, Pflegefachpersonen oder Pflegeexperten überschneiden sich in der Praxis. Gleichwohl sind Maßnahmen erkennbar, um für transparente Aufgaben- und Verantwortungszuschreibungen zu sorgen. Es geht darum, innerhalb der Pflege, gegenüber anderen Gesundheits- und Sozialberufen und Arbeitgebern sowie vor allem auch gegenüber den Nutzern pflegerischer Leistungen Klarheit zu schaffen. Zu diesem Zweck werden Kompetenz- und Karrieremodelle entwickelt, Standards für die Aus- und Weiterbildungen formuliert und aufeinander abgestimmte Rollen- und Aufgabenprofile definiert. Zudem werden verbindliche Aufgaben- und Verantwortungsrahmen (Scope of Practice) festgeschrieben, um die Befugnisse von Pflegeexperten gegenüber anderen Berufsgruppen (z. B. Ärzten) rechtlich abzusichern. Hinzu kommen Initiativen zur Formulierung von Regelungen für einen anforderungsgerechten Qualifikationsmix in den verschiedenen Versorgungssettings, die sich an den unterschiedlichen Versorgungsstufen orientieren.

Wie wird in anderen Ländern mit den Herausforderungen bei der Gewinnung und Bindung von Pflegepersonal umgegangen?

Zunehmender Pflegepersonalmangel und damit verbundene Gefahren für die Sicherung der Versorgung stellen auch in Großbritannien, den Niederlanden, Schweden und Kanada eine Herausforderung dar, der mit (ineinandergreifenden) versorgungs-, professions- und arbeitsmarktpolitischen Strategien begegnet wird. In allen Untersuchungsländern werden Investitionen in die Qualität der Arbeit vorgenommen, um Pflegepersonal zu gewinnen und zu binden. Berücksichtigt werden dabei zahlreiche Faktoren, z. B. Arbeitszeiten, leistungsgerechte Entlohnung, Sozialleistungen, berufliche Autonomie, Führungsverhalten, betriebliches Gesundheitsmanagement oder eine alter(n)ssensible Personalpolitik. Bessere Arbeitsbedingungen führen zu höherer Arbeitszufriedenheit und gesteigertem Engagement der Pflegenden und wirken sich positiv auf die Versorgungsqualität und Patientensicherheit aus. Diese Wechselwirkung haben Initiativen wie das niederländische Buurtzorg oder das Magnet Recognized Hospital® etwa in Kanada überzeugend unter Beweis gestellt.

Darüber hinaus werden auch Strategien zur Rekrutierung ausländischen Pflegepersonals genutzt, wobei damit verbundene Fragen und Probleme, z. B. hinsichtlich ethischer Dimensionen der internationalen Anwerbung sowie der betrieblichen Integration der Migrierenden nicht hinlänglich gelöst sind. Auch aus diesem Grund werden Investitionen in die quantitative und qualitative Verbesserung der Aus- und Weiterbildungen von Pflegenden im eigenen Land als Erfolg versprechender Lösungsansatz zur Beantwortung des Pflegepersonalmangels angesehen. Dazu gehören z. B. finanzielle Anreize durch eine Vergütung für Pflegestudierende, etwa in Großbritannien oder den Niederlanden. Hinzu kommt die finanzielle Unterstützung von Einrichtungen für die Freistellung von Pflegenden, die sich in Masterstudiengängen auf die Übernahme von erweiterten Aufgaben oder federführenden Rollen in der Praxisentwicklung vorbereiten.

Welche Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Entwicklungs- und Aufstiegsoptionen gibt es in der Pflege in anderen Ländern?

Die berufszulassende Ausbildung von Pflegefachpersonen findet in allen vier Ländern regelhaft im Hochschulsektor statt, lediglich die Niederlande halten parallel dazu noch eine Ausbildung im sekundären Bildungssystem vor. Anders als hierzulande ist die Pflegeausbildung in den Untersuchungsländern aber in jedem Fall in den regulären Bildungsstrukturen verortet, woraus sich zahlreiche Vorteile für die Sicherung der Ausbildungsqualität und die Durchlässigkeit von Bildungs- und Karrierepfaden ergeben.

Als Zugangsvoraussetzung zur Ausbildung für Pflegefachpersonen wird i. d. R. ein 12-jähriger allgemeinbildender (hochschulzulassender) Schulabschluss vorausgesetzt. Um Interessenten mit formal unzureichenden schulischen Voraussetzungen den Einstieg in die Pflege zu ermöglichen, gibt es Möglichkeiten zur Übergangs- und Nachqualifizierung. Die Anerkennung vorangegangener Lernerfahrungen ermöglicht es, auch Quereinsteiger mit anderen (Hochschul-)Abschlüssen in die Pflege zu integrieren.

In allen Untersuchungsländern führen generalistisch ausgerichtete Ausbildungsangebote zur Berufszulassung, ggf. mit...

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