Moderne Pflege heute - Beruf und Profession zeitgemäß verstehen und leben

Moderne Pflege heute - Beruf und Profession zeitgemäß verstehen und leben

von: Christa Büker, Julia Lademann, Klaus Müller, Christa Büker, Julia Lademann

Kohlhammer Verlag, 2018

ISBN: 9783170321113

Sprache: Deutsch

189 Seiten, Download: 4957 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Moderne Pflege heute - Beruf und Profession zeitgemäß verstehen und leben



 

2          Entwicklung des Pflegeberufs


Julia Lademann


 

Zielsetzung dieses Kapitels ist es, die wichtigen Etappen der Geschichte der Krankenpflege und deren Verberuflichung nachzuvollziehen und verstehen zu lernen. Gepflegt wird seit Menschengedenken. Als berufliche Tätigkeit wird Pflege erst seit etwa 200 Jahren ausgeübt und seit etwa 100 Jahren gibt es Bestrebungen, diesen Beruf zu akademisieren und zu professionalisieren. Wer eine berufliche Pflegeausbildung bzw. ein Pflegestudium absolviert, kann von dem Wissen über die »Wurzeln« des Pflegeberufs sehr profitieren: So ist es zum einen enorm interessant zu erfahren, wie sich der eigene Beruf entwickelt hat. Zum anderen können manche aktuellen beruflichen Gegebenheiten besser verstanden werden, wenn deutlich wird, warum und unter welchen Umständen bestimmte berufliche Entwicklungen ihren Lauf nahmen. Dieses Wissen kann heute wertvoll sein, wenn es darum geht, Pflege als berufliche Tätigkeit positiv weiterzuentwickeln.

Einen wichtigen Schritt zur Professionalisierung der Pflege stellt die Akademisierung der Pflege dar. Sie dient dazu, der Pflege eine fachlich-wissenschaftliche Basis zu geben und zur Verbesserung der Ausbildungsqualität beizutragen. Die Etablierung einer eigenen Wissenschaft – der Pflegewissenschaft – ist hierfür unabdingbar. Die Verankerung und Entwicklung von Pflegewissenschaft an Hochschulen in Deutschland etabliert sich im Vergleich zur internationalen Situation allerdings in nachholender Art und Weise.

Praxisbeispiel


Kamila Kowalczyk2 hat gerade ein grundständiges Bachelorstudium Pflege aufgenommen. Ihre Eltern betreiben bereits seit 20 Jahren einen Pflegedienst mit etwa 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Während ihrer Schulzeit hat sie dadurch bereits viel Kontakt zum beruflichen Feld der ambulanten Pflege geknüpft. Da ihre Eltern großen Wert auf regelmäßige Fort- und Weiterbildung sowohl für sich selbst als auch für ihre Mitarbeiterinnen legen, hat sie schon als Schülerin die Bedeutung einer ständigen fachlichen Weiterentwicklung in der Pflege erkannt. Ihre Idee, eine pflegerische Berufszulassung zusammen mit einem akademischen Abschluss in der Pflege zu erwerben, fand bei ihren Eltern große Zustimmung.

Als Schülerin hat sich Kamila Kowalczyk besonders für Geschichte interessiert. Sie selbst und auch ihre Eltern sind in Deutschland geboren, ihre Familie väterlicherseits stammt aus Polen. Aus Erzählungen ihrer mittlerweile verstorbenen Großmutter weiß sie, dass ein Teil ihrer jüdischen Familie im zweiten Weltkrieg eine Zeit im Warschauer Ghetto verbringen musste. Unter welchen Umständen ihre Verwandten dort gelebt haben und wie genau ihre Urgroßmutter und Großmutter schließlich nach dem Krieg nach Deutschland gelangt sind, wird bis heute nur wenig und bruchstückhaft in der Familie thematisiert. Daher hat Kamila sich in der Schule besonders für die Zeit des Nationalsozialismus und dessen Auswirkungen in Europa interessiert. Sie hat auch einige Biografien von bekannten Persönlichkeiten und deren Überleben im Warschauer Ghetto gelesen, um sich ein wenig ein Bild zu verschaffen.

Während ihres Studiums gewinnt sie bereits im ersten Semester Einblicke in die Geschichte der Pflege. Sie ist überrascht, dass die Pflegeberufe während dem Dritten Reich eine bedeutende Rolle in der Umsetzung der so genannten Rassengesetze der Nationalsozialisten gespielt haben. Sie stellt fest, dass eine pflegewissenschaftliche Aufarbeitung viele neue Erkenntnisse erbringt. Diese können dazu dienen, sich der Verantwortung von Pflege und damit deren gesellschaftlicher Bedeutung bewusst zu werden.

2.1       Hintergrund: Historische Pflegeforschung


Forschung zur Geschichte der Pflege

Woher stammt eigentlich das Wissen über die Entwicklung der Pflege im Laufe der Geschichte? Hierzu gibt es mittlerweile einen speziellen Zweig innerhalb der Pflegeforschung, in welchem historische Arbeiten über die Pflege als Tätigkeit bzw. Beruf in vergangenen Zeiten verfasst werden. Allerdings wird in Deutschland noch nicht sehr lange über die Geschichte der Pflege geforscht. Unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für PflegewissenschaftKap. 5.3.4) gibt es die Sektion »Historische Pflegeforschung« (DGP o. J.), die im Jahr 1992 einen ersten Kongress zu dieser Thematik im deutschsprachigen Raum ausgerichtet hat. Ferner wurde im Jahr 2014 die Fachgesellschaft für Pflegegeschichte e. V. gegründet, welche an der Fliedner-Kulturstiftung-Kaiserswerth angesiedelt ist (Fliedner Kulturstiftung 2014). Zuvor und bis heute wird an Universitäten an Lehrstühlen für Medizingeschichte, Soziologie und Theologie über Pflegegeschichte geforscht. Eine ausgewiesene Professur für Historische Pflegeforschung gibt es im deutschsprachigen Raum bislang allerdings noch nicht. So stammen erste geschichtliche Abhandlungen, in denen auch die Pflege eine Rolle spielt, von Medizinhistorikern.

Pionierinnen der Pflegeforschung

Im Jahr 1907 publizierten zwei Pflegewissenschaftlerinnen in den USA den ersten Teil eines vierbändigen Werkes »A history of nursing« (Nutting & Dock 1907). Eine der beiden Autorinnen, Mary Adelaide Nutting (1858–1948), begründete den weltweit ersten pflegewissenschaftlichen Studiengang zur Ausbildung von Pflegefachpersonen an der Columbia University New York und war auch international die erste Pflegeprofessorin (Wolff 1997). Diese erste Publikation zur Geschichte der Pflege aus der eigenen Berufsgruppe heraus wurde übrigens von Agnes Karll (1868–1927), der Mitbegründerin des heutigen Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), 1910 ins Deutsche übersetzt (Wolff & Wolff 2008). Im ersten Krankenpflegegesetz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Jahr 1957 die »Geschichte der Krankenpflege« erstmals als verbindlicher Lehrinhalt festgeschrieben. In den 1980er-Jahren hat sich die Pflegewissenschaftlerin Hilde Steppe (1947–1999) ausführlich mit der Rolle der Krankenpflege in Deutschland im Nationalsozialismus auseinandergesetzt (Steppe 2013). Sie war Mitbegründerin der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft und der bereits oben genannten Sektion Historische Pflegeforschung. Der Frankfurt University of Applied Sciences übergab sie das von ihr angelegte umfangreiche Archiv, das einen Schwerpunkt der »Historischen Sondersammlung Soziale Arbeit und Pflege« der hochschuleigenen Bibliothek bildet (Frankfurt University of Applied Sciences 2017a).

Ziel historischer Pflegeforschung

Was nun genau macht historische Pflegeforschung aus? Ein Zitat aus dem Jahr 1995, beim zweiten deutschsprachigen Kongress zu diesem Thema, verdeutlicht dies sehr gut:

» Die Geschichte der pflegerischen Berufe ist auf den ersten Blick eine Geschichte von Tradition, von Kontinuität, von schwesterlichem Dienen und heilkundigen Frauen, von Heiligen und Nationalheldinnen wie Florence Nightingale. Erst beim zweiten Hinsehen werden Brüche, Diskontinuitäten und Widersprüche sichtbar. Diese zu ergründen und herauszufinden und damit Geschichte ›lebendig‹ zu machen, ist das Ziel historischer Pflegeforschung« (Kongressflyer Frankfurt 1995, zit. nach Recken 2009, S. 31; Hervorhebung durch die Verfasserin, J.L.).

Arten von Quellen

Geschichte hat sich in der Vergangenheit ereignet und diejenigen, die sich damit beschäftigen, versuchen das Vergangene in der Gegenwart zu beschreiben – möglichst so, wie es tatsächlich gewesen sein könnte. Hierfür sind Zeugnisse und Zeugen notwendig, die Auskunft über Ereignisse in der Vergangenheit geben können. Diese werden in der Geschichtswissenschaft als Quellen bezeichnet (Wolff & Wolff 2008). Verwendet werden sogenannte gegenständliche Quellen wie z. B. paläontologische Funde. Das sind oftmals versteinerte Hinterlassenschaften von Menschen und Tieren in der Ur- und Frühgeschichte, die z. T. Aufschluss über das damalige Leben geben können. Weniger alte gegenständliche Quellen können auch pflegetechnische Gerätschaften sein, wie Betten, Fieberthermometer, Hilfsmittel zur Mobilisation, Nahrungsaufnahme, Körperpflege usw. Seit etwa 5000 Jahren werden von Menschen schriftliche Quellen verfasst, um Geschehnisse, Überlegungen und Vorstellungen vom Leben festzuhalten. Diese werden z. B. in Archiven, Sondersammlungen und/oder Museen aufbewahrt und können dort unter bestimmten Voraussetzungen auch eingesehen werden. Zeitzeugen sind Menschen, die über ihr Leben aus vergangenen Zeiten berichten können – dies sind mündliche Quellen. So gibt es beispielsweise noch Menschen, welche den Nationalsozialismus in Deutschland und dessen Auswirkungen auf ihr...

Kategorien

Service

Info/Kontakt